Im Rahmen der Durchsuchung ältester KiX-Archive sind so manche wundervolle unveröffentlichte Schmuckstücke aufgetaucht, die es nun an die Öffentlichkeiten schaffen...
Gute-Nacht-Geschichten
erzählt von Raul C.O. Kauke am 22.10.1996
1 Das Familienessen
2 Eine traurige Geschichte
3 Ein Unfall
4 Das Mädchen an der Mauer
5 Süßigkeiten
6 Ein Dummer findet Rom
7 Was ist Arbeit
8 Warum wischte Frau Unhold am Dienstag die Treppe noch
vor dem Frühstück?
9 Das Aufregendste, was einem Trapper widerfahren kann
10 Bildband über Architektur
11 Die siebzehn tapferen Zwerge
12 Ein Dummer findet eine Schlange
1 - Das Familienessen
Ich nahm einmal die Einladung zu einem Familienessen meines
Freundes Geoffrey an. Geoffrey war ein guter Kerl und ich brachte es nicht
übers Herz, abzusagen.
Das Essen selbst war eine kulinarische Köstlichkeit. Ich
wurde satt - nicht zu viel und nicht zu wenig - und hinterher gab es Kaffee.
Die Stimmung sank rapide, als Onkel Montgomery Nichte
Shirley fragte, wie viel sie von dem Soufflé gegessen habe. Nichte Shirley
wurde schlafartig bleich. Sie hielt sich die Hand vor den Mund und gab keinen
Ton von sich. Erst als die Mutter des Hauses leckeren Pudding brachte, hatten
alle den Vorfall wieder vergessen.
Als ich später Geoffrey nach dem Vorfall ausfragte, erzählte
er mir die belanglose Geschichte, bei der Nichte Shirley bei einem Kochwettbewerb
in der Kategorie Soufflé nur den dritten Platz belegt haben soll.
Ich wurde den Verdacht nicht los, dass an der Sache
irgendetwas faul war, fand jedoch nicht den Mut, bei Geoffrey zu protestieren.
Erst Jahre später kam ich in einem Traum auf die Lösung.
An dem Abend des Familienessens gab es gar kein Soufflé.
Weitere Recherchen führten mich zu der Tatsache, dass Soufflé dogar erst Wochen
später erfunden wurde.
2 - Eine traurige
Geschichte
Ein Kollege erzählte mir folgende Geschichte.
Die Braut des Kollegen - damals gerade dem Kindesalter
entwachsen - wohnte zwecks Studien drei Jahre bei den Wilden. Zurück in der
Zivilisation konnte sie einige ihrer "wilden Angewohnheiten" nicht
loswerden.
Dinge, wie Gebetgesänge während der Mahlzeiten und das
Verehren von Fetichen am Abend, in der Nacht, hätten den Alltag der Braut und
meines Kollegen ja nicht gestört.
Doch irgendwann fing sich das Mädchen ab zu schälen. Zuerst
ein paar Haare, dann Hautkrümelchen. Schließlich zog sie sich ganze Haarbüschel
und Hautfetzen vom Leibe.
Eine traurige Geschichte. Der Kollege heiratete eine andere
Frau. Was aus der Braut von damals wurde, vermochte er nicht zu erzählen.
3 - Ein Unfall
An einer unübersichtlichen Kreuzung kam es zu einem
Autounfall. Zwei Wagen rammten einander. Außer Scherben flogen nur böse Worte
durch die Gegend.
Fahrer A stieg nach der Schrecksekunde aus und fing an Zeter
und Mordio zu brüllen. Was für eine Gemeinheit das sei, sein schönes Auto, der
schöne Nachmittag und in einer Viertelstunde fange das Spiel an, zu dem er nun
zu spät komme.
Die Schrecksekunde von Fahrer B dauerte etwas länger, weil
sich sein Hund Rolli Minuten vor dem Unfall schon mit der Hundeleine in der
Handbremse verfangen hatte und erst befreit werden musste.
Auch Fahrer B hatte eine kraftvolle Stimme. Die bekanntesten
und viele unbekannte KFZ-Fachausdrücke gab er von sich. Alle geschrien.
Beide machten einander schuldig für die Karambolage.
Ein alter Pfarrer kam des Weges und wollte es gut meinen.
Versuchte zu beschwichtigen.
Doch alle, worauf es hinauslief war, dass sich Fahrer A und
Fahrer B vor Gericht wiedersahen und wahrscheinlich heute noch streiten.
4 -Das Mädchen an der
Mauer
Ein Mädchen stand an eine Mauer gelehnt und pfiff
gutaussehenden Jungs hinterher.
Eine Nonne nahm sie beiseite und fragte, warum sie die tue.
Das Mädchen hatte es nicht anders gelernt. Da, wo sie herstammte, pfeife man
eben gutaussehenden Jungs hinterher.
Und so pfiff sie weiter und brachte den einen oder anderen
Knaben damit in größte Verlegenheit.
Die Nonne erklärte dem Mädchen, dass es etwas falsch
verstanden habe. Dass die Jungs den Mädchen hinterherpfeiften und es letzteren
unangenehm sei. "Ha ha", lachte das Mädchen. Das sei Unsinn. Wo Jungs
doch gar nicht pfeifen konnten. Woraufhin es einen langgezogenen Pfiff mit
beiden Fingern von sich gab. Der Signalton für ihre Freundinnen, die nun
vorbeikamen, mit Spatzenschleudern bewaffnet und Frösche und ekligere Dinge in
den Rocktaschen.
Die Nonne kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Und als sie
Mädchen ein paar besonders blöde Jungs verprügelten, musste sie sich
eingestehen, dass sie wohl nichts begriffen habe und einiges an ihr vorbei
gegangen sein musste.
5 - Süßigkeiten
Ein reicher Onkel brachte den Kindern Süßigkeiten mit. Mit
nur einer Auflage!
Das erste Kind durfte nur halb so viele Süßigkeiten
bekommen, wie das Zweite. Dieses jedoch sollte seinen Anteil dritteln, die
Drittel vierteln und zwei Fünftel dem dritten Kind geben. Das vierte Kind blieb
leer aus. Das Fünfte sollte den Rest achteln, die Achtel halbieren; durfte von
jeder der Hälften kosten und sollte dem sechsten Kind den siebzigsten Teil von
seiner Portion vierzehnfach abgeben.
Der Onkel grinste ob der gemeinen Rechenaufgabe, die dem
Schmausen voranging.
Die Kinder begannen heftig kopfzurechnen. Sie vollzogen
Nebenrechnungen, tauschten Ergebnisse aus, besprachen Verläufe von
Zuordnungskurven, wie viel Zeit noch bis zum Abendessen bliebe.
Dann kam das siebte Kind und warf den Plan des Onkels und
die Rechnung mit seiner bloßen Anwesenheit über den Haufen. Die Kinder
verzichteten aus Loyalität zum Siebten ganz auf den Süßkram.
6 - Ein Dummer findet
Rom
Ein dummer Mann kam in ein Straßencafé. Er war sehr erregt:
Er habe nämlich Rom gefunden. Alle hätten es gesucht, nur er hätte den Treffer
gelandet.
Der Wirt lächelte einfühlsam. Nie habe jemand Rom suchen
müssen. Es gäbe genug Hinweisschilder, wo die Stadt zu finden sei. Bus und Bahn
führen pausenlos da hin und außerdem bekäme jeder Mensch im Land - dank des
Satellitenempfangs - mit, wie es in der Stadt zuginge.
Da war der Dumme Mann vor den Kopf gestoßen. Seine Freude
über seinen Fund verging. Dass er also nichts Außergewöhnliches zustande
gebracht habe. Dass seine Dummheit ihn mal wieder reingelegt habe und er nur
dachte, etwas vollbracht zu haben.
Der Wirt klopfte dem Dummen auf die Schulter. Dass, was
dieser vollbracht habe, gelänge den meisten Menschen von vornerein nicht: Sich
wirklich über etwas freuen. Und mit so viel Weisheit in den Händen trocknete er
ein weiteres Glas ab.
7 - Was ist Arbeit
Ein Lehrer stellte der ganzen Klasse das Aufsatzthema
"Was ist Arbeit".
Der Aufsatz fiel bei jedem Schüler mit Sehr Gut aus, obwohl
pro Aufsatz nur ein Wort verfasst worden ist. Immer das Selbe: "Zeitverschwendung".
Das galt als Beantwortung des Themas. Es war für den Lehrer
sogar noch mehr, als eine bloße Klassenarbeit. Dies war die Antwort auf sein
eigenes nie formulierte Problem.
Jahre Später traf der Lehrer auf seinen Wanderschaften einen
seiner ehemaligen Schüler. Stolz erzählter er ihm von dem Wendepunkt in seinem
Leben, den die Klasse und der Aufsatz für ihn darstellten.
Lachend musste der junge Mann nun die Wahrheit gestehen. Die
einstimmige Antwort von damals sei abgekartetes Spiel gewesen. Ein Scherz, ein
Streich.
Den Lehrer störte dieses Missverständnis keineswegs. Er zog
weiter und hatte noch viel zu entdecken.
8 - Warum wischte
Frau Unhold am Dienstag noch vor dem Frühstück die Treppe?
Warum wischte Frau Unhold am Dienstag noch vor dem Frühstück
die Treppe? Jeden Dienstag zwar ist die Treppe dran, aber immer erst nach dem
Früstück. Letzten Dienstag vor.
Was war geschehen? Die Nachbarn versuchten, das Geheimnis zu
lösen. Sie tauschten Informationen aus und erinnerten sich an Indizien aus
allen Jahren, in denen sie schon dort wohnten.
Eine voreilige Nachbarin schlug vor, die Polizei zu
verständigen, so unnormal kam ihnen dieser Vorfall vor.
Schließlich versammelten sich alle Hausbewohner vor der
Haustüre der Unholds. Sie geiferten und keuchten, so nahe waren sie an der
Empörung.
Man stellte Herrn Unhold zur Rede. Der hatte eine Erklärung.
Am Dienstag ließen die Unholds das Frühstück ausfallen. Sie
waren schon um elf Uhr mit Filius Unhold zum Mittagessen verabredet, weswegen
die Treppe in aller Hetze früher als sonst gewischt werden musste.
9 - Das Aufregendste,
was einem Trapper widerfahren kann
Das Aufregendste, was man als Trapper erleben kann,
widerfuhr mir drei Tage vorm heiligen Christfest. Ich scherte mich nie um die
Traditionen und Bräuche der Zivilisation. So war ich froh, dieses Jahr dem
sentimentalen Geheuchel entgehen zu können.
Da widerfuhr mir - in tiefster Schneewildnis - das
Aufregendste, was ein Trapper erleben konnte.
Ich rupfte ein paar Dornensträuche zurecht, als ich direkt
einem Bären gegenüberstand. Ich gab Fersengeld. Doch der Bär hatte vier Fersen
und er übertraf mein Gebot um einiges. Er schnappte mich am Haar und zog mich,
die sichere Beute, in seine Höhle. Ich dachte, es sei um mich geschehen. Doch
der Bär tötete mich nicht. Im Gegenteil. Er gab mir Fressen, Trinken und auch
Wärme. Bitter hätte ich draußen bei meinen Dornensträuchen gefroren.
Da begriff ich, dass auch Tiere Weihnachten feierten. Und
ich verfluchte den Herrgott, warum er mich nicht wenigstens einmal mit diesem
Quatsch verschonen konnte.
10 - Bildband über
Architektur
Auf viel Bitten und Betteln eines Bekannten zeigte ich ihm
einen Bildband über berühmte Architekturen. Er staunte nicht schlecht über die
prunkvollen Gebäude, die darin abgebildet waren. In seiner Heimatstadt -
berichtete er dann sehr beeindruckt - habe man nur den Kirchturm. An dem könne
man keine schönen Fresken bewundern. Nur die schöne Kirchturmuhr.
Und so eine habe es in dem Bildband über Architektur nicht.
Da klnne man sehen, wie genau solche Gerneschönebücher seien. Nämlich gar
nicht.
Am Abend schloss ich den Bildband weg. Nicht, dass mich die
Worte des Bekannten betroffen hätten oder ähnliches. Ich fand nur wirklich
nicht, dass der Bildband genau sei. Und wer mag schon Architektur?
11 - Die siebzehn
tapferen Zwerge
Die siebzehn tapferen Zwerge demonstrierten für mehr
Ansehen. Da standen sie vorm Rathaus. Ihre dünnen Stimmchen verkündeten
Proteste.
Sie fühlten sich oft übergangen und übersehen, erklärten den
Passanten, die ihre Protesttafeln und -plakate wegen der zu kleinen Schrift
nicht lesen konnten.
Der Bürgermeister versprach vom Balkon herunter, es würden
bessere Zeiten kommen, in denen tapfere Zwerge wieder was seien.
Nur zu gut konnte er sich an die Belagerung der hundert
feuerspeienden Drachen erinnern. Damals schlichen sich die siebzehn tapferen
Zwerge unter die Stadtbevölkerung und konnten in diesen schlechten Zeiten die
Menschen mit ein paar guten Witzen wenigstens ein wenig wieder aufmuntern.
12 - Ein Dummer
findet eine Schlange
Der dumme Mann fand eine tote Schlange im Müllcontainer. Sie
war alt und ganz ausgetrocknet. Selbst ein kluger Mann hätte Schwierigkeiten
gehabt, si zu identifizieren.
Der Dumme ging zum ersten Nächsten. Es war der
Gemüsehändler. Doch der wusste auch nichts mit der Schlange anzufangen. Das
könne allerhand sein. Eine Schnur oder ein Seil. Ein Schal oder eine elastische
Gardinienstange.
Der Dumme kannte all diese Gegenstände, die der Händler
aufzählte nicht und brachte die Schlange wieder zum Container.
Wenigstens wusste er, was ein Deckel ist. Und er schloss ihn
und musste nicht mehr an die mysteriöse Schlange denken.