31.03.2019

Die letzten Kapitel aus fünf Romanen


Im Rahmen der Durchsuchung ältester KiX-Archive sind so manche wundervolle unveröffentlichte Schmuckstücke aufgetaucht, die es nun an die Öffentlichkeiten schaffen...



Die letzten Kapitel aus fünf Romanen
von Raul C.O. Kauke im November 1996










 Das letzte Kapitel aus "Mord in einem alten Haus"









-12-

Vorsichtig spähte Jack durch das Gebüsch. Er wähnte sich zwar in Sicherheit, fragte sich jedoch, ob er das Haus hätte verlassen dürfen.
Vom Mörder war hier draußen keine Spur. Als Jack seine Runde um das Haus beendete, wusste er, dass es ein Fehler war, hier draußen zu suchen.

Ein Schrei! "Älexändra!" fuhr es Jack durch den Kopf. Die Eingangstür war fest verschlossen.  Wenn der Mörder bei Älexändra war, wie ist er in das Haus gelangt? Jack überstürzte sich fast, als er versuchte, wieder hinein zu kommen. Es dauerte eine Ewigkeit. Erst der letzte Schlüssel passte ins Schloss. Wieder ein Schrei. Er rannte ins dunkle Zimmer, erreichte die Treppe, wobei er über irgendetwas stolperte und die Treppe hinauf. Die Tür zu Älexändras Zimmer stand offen. Niemand drin.
Ein Schuss! Und erneut Älexändras Schreien. Jack rief nach ihr. Ein zweiter Schuss, schwer zu lokalisieren.
"Jack! Zu Hilfe!"
Wenigstens hatte er ihr noch nichts getan. Wieder Schüsse. Und Jack wusste plötzlich, woher sie kamen. Das alte Kaminzimmer! Jack rannte die Treppe hinauf zum Obergeschoss. "Älexändra!" Er riss die Tür zum Kaminzimmer auf. Er warf sich fast ins Zimmer.

Der Mörder stand mitten im Raum und schoss auf den umgekippten Schreibtisch, hinter dem Älexändra Schutz gesucht zu haben schien. Jack richtete seinen Revolver auf den Mörder.
"Ihr Spiel ist aus, Laslovic!"
Verdutzt lässt der Mörder die Waffe sinken. Älexändra lugte hinter dem Tisch hervor, ihr Gesicht von Angst und Tränen gezeichnet. Schmerz konnte Jack dort zum Glück nicht lesen. Sonst hätte er sofort abgedrückt. Aus Wut und aus Angst.
"Lassen Sie sie fallen, Laslovic!" Der Mörder öffnet die Hand, seine Pistole fällt zu Boden. "Komm her, Älexändra, es ist vorbei."
Sie huschte aus ihrem Versteck hervor direkt in Sicherheit hinter Jack.

Laslovic enthüllte seine Maske. "Wie haben Sie es herausgefunden?" "Sie haben sich selbst verraten, Laslovic. Als wir das erste Mal anreisten, banden Sie mir auf die Nase, dass Sie der einzige sind, der mit allen Winkeln dieses Hauses vertraut ist. Ich tat diese Worte damit ab, dass Sie als Hausmeister eben solche Reden halten würden. Aber als ich bemerkte, dass die Haustüre abgeschlossen war, als Älexändra das erste Mal schrie, wusste ich, dass die Schauermärchen über einen Geheimgang wahr sein mussten. Sie waren wirklich der einzige, der dieses Haus kennt."

Laslovic ließ sich auf das Sofa nieder. "Bin froh, dass es vorbei ist. Der Mord an Mrs. Yabberfield schmerzte mich zutiefst. Sie schikanierte mich fünfundzwanzig Jahre herum. Sie musste streben. Und meine innere Stimme sacht's aach."

Zwei Streifenwagen fuhren vor. Wortlos führte der Kommissar Laslovic ab - offensichtlich gekränkt, weil er den Fall nicht gelöst hatte.

Das erste Mal seit siebzehn Jahren wurde das Feuer im alten Kaminzimmer entfacht. Älexändra und Jack saßen Arm in Arm auf dem Sofa und schnuggelten ein wenig. "Eins verstehe ich nicht", sagte Älexändra. "Wie konntest Du wissen, dass Edmund die Autoschlüssel vertauscht hatte, so, dass Du gar nicht erst zurück nach Leicesterfields kämest?"
Jack grinste. "Das wusste ich auch gar nicht. Ich dachte, ich hätte die Schlüssel schon am Tag vorher vertauscht und wollte mich nicht trauen, es vor Dir und Mutter zuzugeben."
Das Kaminfeuer brannte noch bis tief in die Nacht.

Ende






Das letzte Kapitel aus "Zwei gute Freunde"









-21-

Aber, um allem eins draufzusetzen, kam Stevie-Bob auch am folgenden Tag nicht zur Arbeit. Mänfred wartete eine halbe Stunde ab und suchte den Blaumacher zuhause auf.

Stevie-Bob öffnete die Tür, sah Mänfred und wollte die Tür sofort wieder schließen. Mänfred schob seinen Fuß im richtigen Moment dazwischen.
"Was willst Du, Mänfred?", fragte Stevie-Bob. "Was ich will? Wie ist es mit Dir, Kerl? Hieß es nicht gestern im Vollrausch, als alles gut war: 'Morgen, ja morgen!' Und: 'Arbeit ist ja gar nicht so schlimm'? Warst Du so betrunken, oder hast Du es nur wieder vergessen?"
Mänfred war so richtig in Fahrt. Er steckte sich eine Zigarette an.
"Ich war nicht betrunken. Ich trinke nie", sagte Stevie-Bob.

Auf alles war Mänfred gefasst. Irgendwelche Mimosen oder andere arbeitskranke Ausreden. Auch auf den obligatorischen defekten Wecker hatte er eine Antwort parat. Aber dies...
"Du willst doch nicht behaupten, dass Du mir jedes Mal die Trunkenheit vorgespielt hast?", fragte ich. "Doch. Genauso war es." "Und die leeren Flaschenhaufen in Deinem Vorgarten?" Stevie-Bob blickte Mänfred an. "Hör mal, Mänfred, wenn Du willst, dass die Leute Dir etwas glauben, musst Du auch für Glaubwürdigkeit sorgen", sagte er. "Und der Bluttest bei der Straßenkontrolle? Das Ergebnis konntest Du doch nicht gefälscht haben?", fragte Mänfred weiter. Stevie-Bob antwortete: "Doch, Mänfred. Ich habe alles gefälscht. Einschließlich die Rechnungen bei Mathildes Trinkhalle."
Mänfred sank auf einen Stuhl, wobei er sich auf eine leere Bierdose setzte. Sie stach ihn, doch er wusste nicht, ob er es glauben sollte, ob sie überhaupt da war. Oder war sie eine Lüge? Aber sie stach ihn in den Po. Ärgerlich schnickte er sie zu Boden. Scheppernd traf sie auf, riss noch zwei - fast drei - Dosen mit sich.
"Ich kann mir denken, wie Du Dich fühlst..." "So? Kannst Du das? Hat Dich auch schon mal jemand so reingelegt?" Mänfred war sehr verbittert. Stevie-Bob sagte: "Aber Du musst doch verstehen... Ich wäre tot, wären meine Geschichten wahr.
Das stimmt. Plötzlich musste Mänfred lachen. "Alles gelogen?" "Alles." "Auch die Wette mit dem Busfahrer?" "Auch die."
Nun lachten beide über die faustdicken Lügen Stevie-Bobs. Diese konsequente Unverschämtheit, diese bodenlose Unverfrorenheit machte den Vertrauensbruch des Freundes wieder wett. Im Gegenteil. Je länger Mänfred über die Lüge nachdachte, desto interessanter erschien ihm der Freund. Fast hatte er den Eindruck, sei der Wert der Freundschaft gestiegen. Und was wollte Mänfred nach diese mverpatzten Sommer mehr erwarten?
"Und die Arbeit? Dein Problem, Geld zu brauchen, aber nicht arbeiten zu wollen?" "Glatt gelogen. Wenn ich eines genug habe, dann ist es Geld. Mein Vater vererbte mir Aktien, von deren Zinsen ich ganz gut leben kann." Mämfred sah seinen Freund an. "Jetzt sage mir bitte noch eins, Stevie-Bob. Wir kennen uns genau einen Sommer lang, sind die besten Freunde geworden, alle kennen (und lieben) uns als das Trinkerpaar und im Herbst sind wir auf dem Wetttrinken angemeldet. Heute, am letzten Sonnentag stellt sich heraus, alles war Lüge. Wieso? Wieso dieser Umstand, dieser Aufwand, auch die zu überzeugen, die es gar nicht interessiert?"
Stevie-Bob schwieg eine Weile. Dann antwortete er zögerlich. "Das kann ich Dir nur mit einer Gegenfrage beantworten: Wieso hätte ich es lassen sollen?"

Ende







Das letzte Kapitel aus "Zigeuner warten nicht"








-17-

"Sie können ja die Zigeuner fragen", gab Jänkinson auf die unausgesprochene Frage Antwort. Märy-Jäne sah aus dem Fenster. Die Pferde waren schon vor die bunten Wagen gespannt. In der Tat. Die Zigeuner wussten die Antwort. Aber Märy-Jäne wollte die Frage um nichts in der Welt aussprechen. Keiner wollte das.
Und sie wollte um keinen Preis noch einmal irgendetwas mit den Zigeunern zu tun haben. Nein, die sollten bloß verschwinden.

"Will noch jemand Tee?, versuchte sie das Thema beiseite zu schieben. Jänkinson hielt ihr seine Tasse hin. "Sie sollten bedenken ...", fing er einen weiteren Gedankengang an. "Mr. Jänkinson", Märy-Jäne goss ihm so heftig Tee ein, dass er auf die Untertasse spritzte, was sie ignorierte. "Ich werde nichts mehr der Sache hinzufügen. Meine Schwester ist weder hier noch bei den Zigeunern, noch hat sie der Kardinal für seine schmutzigen Geschäfte eingespannt." "Aber Miss Märy-Jäne", begann Jänkinson vorsichtig.
Nun mischte sich der breitschultrige Oliverson ein: "Jänk, es ist gut! Lass die Lady, wenn sie nicht will. Wir hatten alle unseren Auftritt und nun ist es gut."
Jänkinson schien es einzusehen. Ein letztes Mal - wohl um sein Gewissen zu berihigen - versuchte er es: "Miss Märy-Jäne. Wenn Oli und ich den letzten Wagen da draußen noch kriegen sollten, sind wir weg. So Gott will für immer. Sie mögen dann Ihre Ruhe finden; mich quält das Schicksal Ihrer Schwester auch dann noch. Kommen Sie mit uns! In einem halben Jahr sind wir wieder da und wer weiß, vielleicht ergibt sich ja noch etwas! Ich bitte Sie, um Ihrer Schwester willen!"
Er griff nach dem Hut und bewegte sich in Richtung Tür, immer noch in der Hoffnung, das Mädchen zu überzeugen.

Ein Pfiff ertönte von draußen. Oliverson sprang auf, signalisierte Leo, dem Zigeuner, dass er und Jänkinson dieser Aufforderung nachkommen würden. Märy-Jäne trank ihren Tee aus. Sie sah Leo auf seinen Wagen steigen. Auch ihn würde sie wohl nie wieder sehen. Die Farben des Wagens erinnerten sie an den Tag, als der Konvoi mit Musik in die Stadt eingezogen war. Nun würden sie wieder fahren und fast alles war wie vorher. Nur sie hatte etwas gelassen. Die arme Betty-Änn. Auch sie hatte sich damals über die farbenprächtigen Wagen gefreut. Was würde sie ohne ihre Schwester machen? Was würde Betty-Änn ohne Märy-Jäne machen?

Sie stellt die Tasse ab. Jänkinson und Oliverson stiegen auf den Wagen, Leo straffte die Zügel. Der Chor der Zigeuner stimmt das Wanderlied an. Waren sie wirklich so glücklich darüber, wieder unterwegs zu sein? Sie starrte den davonfahrenden Farben hinterher. Sie starrte noch aus dem Fenster, als die Wagen schon längst um die Biegung am Weiherhorst gefahren waren.

Ende







Das letzte Kapitel aus "Mutterglück"








-15-

Das Seil hielt. Sand und Steine fielen geräuschlos in die Tiefe. Ein Packen Elend klammerte sich am Seil fest. Es wusste instinktiv, dass es sich festklammern musste. Nach drei Wochen Lebenszeit waren oben und unten schon ein Begriff.
Der Gnom stand am Rande des Abgrunds und lachte. Er konnte sich gar nicht satt sehen am Unglück und nicht erwarten, bis das Kind endlich seine Kräfte verlor. "Noch dreißig Sekunden und dann fällst Du tief!", sang er mit der gewohnten Melodie. "Und Deine Mutter kann Dir nicht mehr helfen!" Er kicherte. "Mütter können ihren Kleinen nie helfen. Und sie wissen das. Und sie wissen auch, dass wir Gnome durchaus dazu im Stande sind, weswegen sie uns hassen. Ich jedenfalls lasse mich nicht dazu herab, Dir zu helfen. Bestimmt sind Deine Windeln voll." Das Kind gluckste. "Nicht voll? Na gut. Aber irgend so eine Ekelhaftigkeit hast Du bestimmt auf Lager."
Der Gnom kniete sich hin, um näher herankriechen zu können, verlor aber kurz darauf die Lust an seinem Spaß. "Ach, Du vestehst ja doch nicht, was ich sage. Ihr versteht ja nie etwas. Wieso wohl die Mütter so wild auf Euch sind? Wenn Ihr nichts versteht?"
Das Feuer auf der obersten Etage des Bergwerks hatte größere Ausmaße angenommen. Das Seil hielt noch, doch die Flammen leckten schon nach der Befestigung. Der Gnom sah zufrieden nach oben.

Die Mutter war derweil der Verzweiflung nahe. Sie kam zu dem richtigen Schluss, dass der Gnom sie in den falschen Gang geführt hatte. Sie kehrte um. Sie musste ihr Kleines finden. Sie rannte. Als sie an die Stelle kam, an der sie den Gnom das letzte Mal gesehen hatte, hielt sie inne. Der Gang kam ihr verändert vor. Zauberei! Dieser verdammte Gnom! Sie wählte irgend eine Abzweigung. In diesem Wirrwarr von Täschungen und Illusionen musste sie sich ganz allein auf ihr Glück verlassen.
Und tatsächlich erreichte sie den Schacht. Beinahe überwältigte sie der nächste Schauer der Verzweiflung. Drei Etagen unter ihr hing ihr Kind an einem Seil über dem Abgrund. Daneben stand der verdammte Gnom laut lachend. Vier Etagen über ihr das Feuer, das in wenigen Momenten den goldenen Faden, an dem ihr Kleines hing, zu versengen drohte. Was sollte sie tun? In jedem Fall würde sie weder ihr Kind noch die Flammen rechtzeitig erreichen. Es sei denn sie tat es ihrem Spross gleich und... - warum eigentlich nicht?
Kurzerhand nahm sie all ihren Mut zusammen und schwang sich auf das Seil, das über zehn Etagen in die Tiefe hing. Die heiße Luft brannte in den Lungen. Die Mutter riss sich die Handflächen auf, als sie wie ein Feuerwehrmann nach unten rutschte. Sie erreicht ihr Kind, nahm es und hing an seiner Stelle über dem Abgrund.

Der Gnom tobte vor Wut. Aber nur kurz. Denn das Feuer hatte das Seil gleich durch und dann wäre zusätzlich auch noch die blöde Mutter futsch. Entzückt trällerte er sein geliebtes "Ätschibolätschi".

Die Mutter hatte aber ihre Aktion noch nicht beendet. Sie hatte schnell herausgefunden, dass ihr Gewicht wie ein Pendel auf das Seil wirkte. Langsam schwenkte sie hin und her. Sie verlagerte ihr Gewicht und wirkte dem Pendel entgegen, bis sie kurzeitig über dem Rand des Abgrunds war. Da ließ sie los.

Sie waren gerettet. Als der Gnom dies realisierte und schlucken musste, riss das Seil und fiel in die Tiefe. Doch Mutter stand mit Kind wohlbehütet vor dem Gnom. Das Lachen war diesem vergangen. Gekränkt wand er sich ab. "Na und?" krächzte er. Haste eben Glück gehabt! Du und Dein Schreihals."
Mutter und Kind beachteten den Gnom nicht mehr, als sie sich entfernten. "Bist trotzdem 'ne blöde Mutter!", rief er ihr noch nach.

Ende








 Das letzte Kapitel aus "Urlaub im Urwald"








-35-

Nach diesen Strapazen hatten sie sich erst mal Erholung verdient.
Noch während das Flugzeug landete, wussten der Elefant und das Nashorn, was sie nach ihrem Urlaub tun würden: Steine sammeln, war doch klar. Der Kakadu wusste auch, was er beitragen konnte. Alle sahen ihn fragend an, doch er schmitzte nur: "Wird noch nicht verraten."
Schon befürchtete er wieder eine Ohrfeige. Doch die anderen ließen ihn geheimniskrämern.

Ottilie Humper hört nicht mehr auf zu grinsen. So gut hatte ihr die total verrückte Reise gefallen. "Zuerst war ich ja erschrocken, alleine mit so vielen wilden Tieren in einem Flugzeug ohne Piloten. Aber die Fauna hat ja so viele entzückende Seiten. Ich habe sie alle lieb gewonnen." Und sie streichelte Benny Tiger hinter dem Ohr.

Der Pelikan entschloss sich, seiner Retterin das grüne Halstuch zu überlassen. Die wehrte ab. Das habe sie doch gar nicht verdient. "Liebe Ottilie", fing der Pelikan eine weitere fast politisch klingende Rede an. "Wo wären das grüne Halstuch und ich jetzt, wenn es Dich nicht gegeben hätte?"
Ottilie nahm das Tuch an, denn an den eimerspuckenden Drachen wollte sich beileibe niemand mehr erinnern.

Als die Horde aus Tieren und Mensch das Rollfeld stürmte und sich beim tobenden Publikum bedankte, konnte sich Ottilie eine Träne nicht verkneifen. Hatte sie doch zwanzig neue Freunde gewonnen.
Der Elefant trug sie wie eine Siegerin durch das Flughafengebäude (was sie sich ja immer heimlich gewünscht hatte) und die vielen Menschen staunten nicht schlecht, als die ganze Bande ihren perfekten mehrstimmigen Chorgesang anstimmt und die Flughafenmauern stehen blieben.

Ende